Tod der Krawatte? Es lebe die Krawatte!

Tragen Ihre Mitarbeiter noch Krawatten? Oder hat Ihre Sparkasse, Genossenschaftsbank oder Bank auch schon die Krawatte abgeschafft? Aktuell greift die Gegenbewegung zur Krawatte in der Finanzindustrie um sich: In zahlreichen Instituten wurde entschieden, dass die Mitarbeiter künftig keine Krawatte mehr tragen. Das soll „lockerer“, „moderner“ und überhaupt „zeitgemäßer“ wirken. Doch ist es wirklich die Krawatte, die den Kunden den Eindruck vermittelt, dass viele Institute noch nicht in der aktuellen Welt angekommen sind?

Mitarbeiter ohne Krawatte in einer Sparkasse, Genossenschaftsbank oder Bank sind für jemanden wie mich, der seit 20 Jahren in der Bankenbranche unterwegs ist, ein ungewohntes Bild. Ich erinnere mich noch sehr gut, wie mein Vater mir vor dem Start meiner Ausbildung zum Bankkaufmann in abendlichen Übungen gezeigt hat, wie ein anständiger Krawattenknoten zu binden ist. Im ersten Lehrjahr hatte ich zusätzlich immer zwei von meinem Vater fertig gebundene Krawatten als Backup im Schrank. Jetzt vermuten Sie vielleicht, hier schreibt der Nostalgiker in mir nun einen Artikel über die „gute, alte Zeit“. Weit gefehlt, das Abnehmen der Krawatten ist nicht das eigentliche Thema. Vielmehr beschäftigt mich, dass die Krawatte nicht die Ursache für das teils biedere Image von Finanzinstituten ist, denn es sind die Arbeitsweisen, Prozesse, das Ambiente in Filialen, die Reaktionszeiten, Verhaltensweisen und der Umgang mit dem Kunden, die dieses Bild prägen. Die Krawatte ist nicht die Ursache und somit auch nicht die Lösung. Man kann als Sparkasse, Genossenschaftsbank oder Bank modern wirken, unabhängig davon, wie der Dresscode der Herren aussieht – umgekehrt gilt das ebenso.

Nur die Krawatte abnehmen reicht nicht

Manche Vorstände vermitteln den Eindruck, durch das Abnehmen der Krawatte ist nicht nur eine neue Ära angebrochen, sondern die Vision des modernen, kundenzentrierten und unkomplizierten Finanzdienstleisters bereits verwirklicht. Ich erlebe in meinen Gesprächen aktuell zwei Richtungen. Die einen beschäftigen sich intensiv mit der gesamten Aufbau- und Ablauforganisation, richten Prozesse kundenorientiert aus, verändern Zuständigkeiten und überlegen sich, wie eine zeitgemäße interne Zusammenarbeit gestaltet werden kann. Als Sinnbild des Anfangs der neuen Welt wird gleichzeitig ein neuer Dresscode erarbeitet und die Vorstände besetzen die Speerspitze, indem sie zur Mitarbeiter- oder Jahresauftaktveranstaltung ohne Krawatte erscheinen und danach nie wieder mit Krawatte im Institut gesehen werden. Es geht somit nicht um die Krawatte als solche, sondern es soll durch die symbolhafte Handlung des Weglassens signalisiert werden: „Es tut sich was – wir brechen auf in eine neue Ära.“ Ähnlich wie es der CEO von Daimler, Dieter Zetsche, durch die Veränderung seines Äußeren zeigen möchte.

Viele andere Vorstände interpretieren das reine Abnehmen der Krawatte aber falsch, denn der bloße Verzicht auf die Krawatte, ohne Veränderungen in der Aufbau- und Ablauforganisation, verändert noch lange nicht die Organisation. Hierfür sind umfangreiche Maßnahmen notwendig. Ein ähnlicher Trend lässt sich auch in anderen Industrien z.B. bei Unternehmensberatungen erkennen: Bloß, weil der gleiche Innenarchitekt, der auch das Büro von Google oder Facebook designt hat, das neue Büro ausstattet, hat man noch lange nicht eine Firma wie Google oder Facebook. Selbst im Fall, wenn das Institut einen umfangreichen, internen Wandel anstößt, ist es notwendig, dass der Vorstand nicht nur die Krawatte abnimmt, sondern sich auch die gesamte Zusammenarbeit verändert. Wenn man auch in der Welt nach der Krawatte keinen direkten Kontakt zum Vorstand haben darf, weil man die Hierarchiestufen einhalten soll, oder Vorstandsbeschlüsse monatelang zerredet werden, bis eine Entscheidung getroffen wird, dann ist es für die Mitarbeiter vollkommen irrelevant, ob der Vorstand nun eine Krawatte trägt oder nicht, denn nur erlebtes Verhalten löst Veränderung aus. Momente in denen der Mitarbeiter merkt: „oh, das wäre früher undenkbar gewesen“, weil z.B. eine Entscheidung nur wenige Tage benötigt, Abteilungen die früher nur sehr schwierig zusammengearbeitet haben, nun zielorientiert und nach vorne denkend interagieren.

Kunde möchte eine unkomplizierte Zusammenarbeit – mit oder ohne Krawatte

Genauso ergeht es den Kunden, denn dieser leitet das Image des Finanzinstituts nicht daraus ab, ob der Mitarbeiter eine Krawatte trägt oder nicht. Die einzig entscheidende Frage ist: Wie unkompliziert und schnell löst das Institut das Kundenproblem? Wenn heutzutage ein Mitarbeiter in einer Filiale sagt, eine Kreditentscheidung zur Konsumfinanzierung dauert mehrere Tage, dann ist es vollkommen egal, ob dieser eine Krawatte trägt oder nicht, es bleibt ein biederes, nicht zeitgemäßes Image. Auch im umgekehrten Fall, wenn der Kunde eine sofortige Zusage erhält und das Geld sofort mitnehmen kann, um sich seinen Wunsch zu erfüllen, trifft dies zu. Auch hier wird es ihm vollkommen egal sein, ob der Mitarbeiter eine Krawatte trägt oder nicht. Daher arbeiten Sie nicht vorwiegend an den Krawatten, sondern an Ihrer Aufbau- und Ablauforganisation, damit es dem Kunden eine Freude ist, mit Ihnen zu arbeiten. Die meisten Kunden sehen sowieso nicht mehr, ob Ihre Mitarbeiter eine Krawatte tragen oder nicht.

 

Über den Autor: Prof. Dr. Jürgen Weimann

Dr. Jürgen Weimann ist einer der führenden Managementberater für Zukunftsfähigkeit durch wirkungsvolle Führung und kompromisslose Kundenzentrierung mit Schwerpunkt im Sparkassen Consulting & Bank Beratung.

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