Der Wunsch nach einer Fehlerkultur ist ein Fehler

In vielen Fachartikeln und auf Konferenzen wird aktuell die Notwendigkeit einer Fehlerkultur beschworen. Doch niemand macht gerne Fehler, schon gar nicht in einer aufsichtsrechtlich geprägten Branche wie der Finanzindustrie. Dabei ist bei Beiträgen dieser Art häufig gar nicht Fehlerkultur, sondern vielmehr Lernkultur gemeint.

Fehler passieren. Doch wie gehen wir mit ihnen um? Das ist die zentrale Frage, wenn sich Sparkassen mit dem Thema der Fehlerkultur beschäftigen. Doch statt Fehler als etwas Negatives anzusehen, sollten diese als Chance für eine Lernkultur betrachtet werden. Durch das begriffliche Definieren allein entsteht allerdings erst einmal keinerlei Veränderung. Das haben manche Institute bereits mit Begrifflichkeiten wie Vertriebssparkasse oder Hochleistungsteam probiert – ohne jegliche positive Auswirkungen. Betrachten wir daher zunächst näher, was eine Lernkultur eigentlich kennzeichnet:

Eine Lernkultur zeichnet sich dadurch aus, dass Fehler als natürlicher Bestandteil des Lernprozesses akzeptiert werden. Statt Schuldzuweisungen und Bestrafungen über sich ergehen lassen zu müssen, werden die Mitarbeitenden dazu ermutigt, aus Fehlern zu lernen und sich weiterzuentwickeln. Sie können sich vorstellen, dass dieser Anspruch von den Führungskräften Offenheit, Vertrauen und die Bereitschaft, Risiken einzugehen erfordert.

Lernkultur: Führungskräfte als Vorbilder

Darüber hinaus ist es wichtig, dass die Führungsebene selbst eine Vorbildrolle übernimmt. Dazu gehört das Eingestehen der eigenen Fehler, denn dadurch wird eine Atmosphäre des Vertrauens und der Offenheit gefördert. Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen werden ermutigt, sich ihre eigenen Fehler ebenfalls einzugestehen und daraus zu lernen, anstatt zu versuchen, diese zu verbergen.

Sie erkennen: Das bloße Aussprechen von „Wir brauchen eine Fehlerkultur!“ schafft zunächst einmal keine positive Veränderung. Was sich jedoch verändert: Die Mitarbeitenden sind erst einmal irritiert und verstehen den Sinneswandel nicht. Erklären Sie Ihrem Revisor oder Ihrer Direktorin in der Unternehmenssteuerung, dass es nun sogar zum Lernprozess dazugehört, Fehler zu machen. Das kann ja nur zu Verwirrung führen.

An diesen Beispielen ist erkennbar, dass das Wort Fehlerkultur nicht nützlich erscheint. Denn niemand macht gerne Fehler und es geht auch gar nicht darum, MEHR Fehler zu machen; gemeint ist: Der Umgang mit Fehlern soll verändert werden.

Psychologische Sicherheit als weiterer Schlüssel

Häufig wird in diesem Kontext von psychologischer Sicherheit als Voraussetzung für eine Lernkultur gesprochen. Psychologische Sicherheit bezieht sich auf das Vertrauen der Mitarbeitenden darauf, dass sie sich frei äußern können, ohne Angst vor negativen Konsequenzen oder sozialer Ausgrenzung haben zu müssen. Es geht um die Förderung einer Kultur des offenen Dialogs und der konstruktiven Kritik, in der alle Meinungen geschätzt werden.

Es ist auch wichtig, dass Führungskräfte selbst Vorbilder für psychologische Sicherheit sind. Indem sie ihre eigenen Unsicherheiten und Fehler eingestehen, schaffen sie eine Atmosphäre des Vertrauens und der Offenheit.

Für diesen Lernprozess braucht es Plattformen der Begegnungen, bei denen Mitarbeitende ermutigt werden, ihre Erfahrungen zu reflektieren und nach Lösungen zu suchen. Erst durch diesen Austausch von Erfahrungen und die Analyse gemachter Fehler können neue Strategien entwickelt und Prozesse verbessert werden.

Dies erfordert, neben einem veränderten Umgang miteinander, eine abgestufte Umsetzung. Natürlich ist es keine gute Idee, die nächste KWG 44 Prüfung als Lernchance zu betrachten und sehenden Auges in schwerwiegende Feststellungen zu steuern. Bei der Produktentwicklung sieht es schon wieder anders aus, denn eine Lernkultur fördert auch die Kreativität und Innovationsfähigkeit. Indem Mitarbeitende die Freiheit haben, neue Ideen auszuprobieren und mögliche Fehler zu machen, entsteht Raum für neue Ansätze und Lösungen. Hierfür braucht es ein sicheres Umfeld, in dem Mitarbeitende den Mut haben, ihre Ideen zu teilen. Dies fördert das Potenzial, neue innovative Wege zu erkennen und zu gehen.

Daher sollten Sie bitte nicht von Fehlerkultur sprechen, sondern vielmehr überlegen, welche Plattformen der Begegnung es braucht, welche Rituale das Lernen fördern und was das für Sie und Ihre Führungskräfte bedeutet. Als einen ersten Schritt könnten Sie einfach im nächsten Meeting mit Ihren Führungskräften einen eigenen Fehler des letzten Monats mit den Anwesenden teilen und so die Menschen ermutigen, ebenfalls über ihre gemachten Fehler zu sprechen. Auf dieser Vertrauensbasis können Sie die Lernkultur weiter ausbauen.

Über den Autor: Prof. Dr. Jürgen Weimann

Dr. Jürgen Weimann ist einer der führenden Managementberater für Zukunftsfähigkeit durch wirkungsvolle Führung und kompromisslose Kundenzentrierung mit Schwerpunkt im Sparkassen Consulting & Bank Beratung.

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