Herausragender Service als strategische Option

(zuerst erschienen in bank und markt, 46. Jahrgang, Juni 2017, gemeinsam mit Herrn Prof. Dr. Matthias H. J. Gouthier)

„Im Zangengriff“ betitelte das Handelsblatt am 18.01.2017 die Situation der Banken im Marktumfeld von Nullzinsen und Digitalisierung. Gerade für Banken, die ein kostenintensives Filialnetz betreiben, stellt sich zusätzlich zur Notwendigkeit der digitalen Transformation die Frage nach einer erfolgreichen strategischen Positionierung. Die Filialschließungen und Gebührenerhöhungen der Vergangenheit werden nicht ausreichen, um das Geschäftsmodell auf Dauer zu stabilisieren. Kunden durch exzellente Services zu begeistern, ist, wie zahlreiche Studien belegen, in vielen kostengetriebenen Branchen derzeit das Erfolgsrezept. Dass dieser strategische Ansatz auch für Filialbanken geeignet ist, und welche organisatorischen Handlungsfelder zu bewerkstelligen sind, zeigt dieser Artikel auf.

Es vergeht kein Tag, an dem nicht über die kritische Situation der Banken öffentlich berichtet wird. Die aus der Nullzinspolitik der EZB resultierenden Ertragsrückgänge, verbunden mit dem durch die Digitalisierung veränderten Kundenverhalten, setzt alle Institute gleichermaßen unter Handlungszwang. Blickt man in andere Branchen, die von ähnlich disruptiven Veränderungen betroffen sind, so beschäftigen sich immer mehr Unternehmen mit der Fragestellung, wie durch exzellente Serviceleistungen, die Kunden begeistern, positive Kundenerlebnisse geschaffen werden können. Begeisterung ist die Folge eines Kundenerlebnisses, welches über der Erwartungshaltung liegt, persönlich anspricht und somit positiv überrascht. Dieser strategische Ansatz dient zum einen der Differenzierung gegenüber dem Wettbewerb, zum anderen der nachhaltigen Bindung der Kunden an das eigene Unternehmen.

Im klassischen Bankwesen sind die Produkte jedoch weitestgehend homogen und unterscheiden sich primär nur durch den Preis. Vor identischen Herausforderungen stehen viele andere Dienstleister mit einem Schwerpunkt im stationären Handel, z.B. Elektrofachhändler wie Media-Saturn. Auch hier stellt sich die allentscheidende Frage, wie eine komplementäre Beziehung, d.h. eine sich ergänzende Rolle von Online-Handel und stationärem Handel aussehen kann. Gerade unter dem Schlagwort „ROPO – Research Online – Purchase Offline“ kann und muss der stationäre Handel dem Kunden einen Mehrwert bieten, um weiterhin erfolgreich am Markt bestehen zu können. Der dahinterstehende Gedanken gilt gleichermaßen für Filialbanken: Was differenziert das einzelne Kreditinstitut noch vom Wettbewerb? Wie kann dem Kunden in den Filialen ein wahrnehmbarer Mehrwert geboten werden?

HERAUSRAGENDER SERVICE ALS DIFFERENZIERUNGSOPTION

Wer wollte nicht Amazon als erfolgreiches Geschäftsmodell bezeichnen? Einer der Treiber des Erfolgs von Amazon stellt das Bestreben dar, den weltbesten Service bieten zu wollen. So hat Amazon CEO Jeff Bezos in einem Interview zum Ausdruck gebracht: „Wir sind nicht vom Wettbewerber, sondern vom Kunden besessen.“ Diesen Sachverhalt, dass eine absolute Fokussierung auf die Kundenbedürfnisse und permanente Anpassung des Geschäftsmodells auf sich verändernde Kundenbedürfnisse zu einer profitableren Position gegenüber dem Wettbewerb führt, belegen zahlreiche Studien. Zusätzlich bestätigen internationale Studien, dass auch Banken sich durch herausragende Serviceleistungen positiv vom Wettbewerb abgrenzen können. Ein begeisterndes Erlebnis erhöht die Kundenbindung und führt zu einer höheren Anzahl an Wiederkäufen und Weiterempfehlungen und letztlich einem gesteigerten Ertrag pro Kunde. Doch dies erfordert gerade in der deutschen Bankenlandschaft ein neues Verständnis von Service und damit ein grundlegendes Umdenken. Während früher Service sehr stark mit Servicekräften, Bargeld und Zahlungsverkehr verknüpft war, der im Laufe der Zeit immer stärker zurückgefahren wurde, ist es heute notwendig, Service umfangreicher, nämlich als das Erlebnis von Kunden an allen Kontaktpunkten der Bank zu definieren. Bei diesem Verständnis von Service besteht massiver Nachholbedarf. Dies sei an zwei Beispielen verdeutlicht: Bei einigen Instituten können Kunden ihre verlorene Karte zwar telefonisch sperren lassen, zur Neubestellung muss aber die Filiale aufgesucht werden, die telefonische Erreichbarkeit ist ebenso nicht bei allen Instituten 24h/7d verfügbar. Aus Kundensicht liegt in beiden Fällen ein unbefriedigendes Serviceerlebnis vor.

STUDIE ZU DEN ORGANISATORISCHEN HANDLUNGSFELDERN BEI BANKEN

Herausragende Kundenerlebnisse, die durch exzellente Serviceleistungen hervorgerufen werden, kommen nicht durch Zufall zustande, sondern sind Ergebnis einer organisationsweiten Ausrichtung des Kreditinstituts in Richtung Kundenzentrierung und Serviceorientierung. Managementmodelle, die sich mit dieser Ausrichtung beschäftigen, werden als Service Excellence bezeichnet. Um die organisatorischen Handlungsfelder für Banken zu evaluieren, wurde im Rahmen eines Dissertationsprojektes eine entsprechende Studie realisiert. Zunächst wurden durch eine intensive Literaturrecherche mögliche Handlungsfelder evaluiert. Diese wurden sodann im Rahmen einer ersten explorativen Studie mithilfe von teilstandardisierten Interviews mit Managern und Vorständen von verschiedenen Banken spezifiziert.

Im Rahmen einer zweiten explorativen Studie wurden diese Handlungsfelder durch zusätzliche Tiefeninterviews mit Vorständen von Sparkassen und Genossenschaftsbanken validiert. Die Fokussierung auf Sparkassen und Genossenschaftsbanken erfolgte vor allem aus zwei Gründen:

  • Beide Institutsgruppen sind ähnlich organisiert und strukturiert, z.B. durch eine zweistufige Organisationsform mit regionalen Instituten und Zentralinstituten, einer regionalen Verankerung und einem öffentlichen Auftrag bei den Sparkassen bzw. einem Förderauftrag bei den Genossenschaftsbanken.
  • Die Sparkassen und Genossenschaftsbanken repräsentieren den größten Marktanteil des deutschen Bankenmarktes.

Alle befragten Vorstände bestätigten in Summe die Relevanz des Themas der Service Excellence für die Ausrichtung ihrer Institute. Während die Vertreter von Sparkassen erst im Jahr 2016 begonnen hatten, diesbezüglich erste Maßnahmen zu ergreifen, beschäftigten sich die befragten Genossenschaftsbanken schon seit Jahren mit der Verbesserung ihres Serviceangebots. Den größten Veränderungsbedarf sahen die Befragten in der notwendigen Veränderung des Selbstverständnisses der Mitarbeiter. Während Attribute wie Korrektheit und buchhalterische Fähigkeiten stark an Bedeutung verloren haben, ist heute vor allem Empathie gefragt. Nur ein empathischer Mitarbeiter, der sich in den Kunden hineinversetzen kann, ein Kundenbedürfnis schnell erkennt und entsprechend handelt, kann Kunden begeistern. Zusätzlich sahen die befragten Vorstände eine weitere Herausforderung vor allem darin, kundensegmentspezifische Bedürfnisse zu identifizieren, die auch tatsächlich als Auslöser von Kundenbegeisterung agieren. Insgesamt konnten neun organisatorische Handlungsfelder definiert werden, auf die im Folgenden näher eingegangen wird.

LEADERSHIP UND SERVICEKULTUR

Die Ausrichtung des gesamten Instituts in Richtung herausragendem Service erfordert organisationsweite Veränderungen. Insbesondere ist ein Verständnis und eine völlige Überzeugtheit für die Relevanz des Themas im gesamten Unternehmen zu schaffen. Hierbei kommt den Vorständen und Führungskräften eine entscheidende Rolle zu: Service ist nicht nur als Lippenbekenntnis oder Kassengeschäft zu verstehen, sondern es gilt, diesen als klare Selbstverpflichtung für alle Mitarbeiter vorzuleben und dadurch nachhaltig im Institut zu verankern. Service ist nicht als eine der angebotenen Dienstleistungen zu verstehen, sondern als der zentrale Ausgangspunkt aller Unternehmensaktivitäten. Folglich ist eine Haltung erforderlich, die Kunden in den Mittelpunkt aller Überlegungen stellt. Zusätzlich werden Führungskräfte benötigt, die diese Haltung ihren Mitarbeitern gegenüber vorleben und deren Verhalten durch die Kommunikation des Vorstandes kontinuierlich unterstützt wird.

REPUTATION

Nicht zuletzt durch die Finanzkrise war und ist die Reputation für ein Kreditinstitut die Basis der Kundenbindung. Auf der Grundlage von vergangenen und zukünftigen Erlebnissen entsteht beim Kunden eine entsprechende Außenwahrnehmung. Diese prägt, zusammen mit dem Marken- und Preisimage, die Kundenerwartungen. Neben den Maßnahmen zur externen Kommunikation sind es vor allem die Mitarbeiter, die durch ihre Handlungen gegenüber dem Kunden auf die Reputation positiv oder negativ einzahlen. Daher ist die genaue Analyse von Kundenbedürfnissen und -erwartungen je Kundengruppe wichtig, damit das Kreditinstitut darauf basierend betriebswirtschaftliche Entscheidungen treffen kann, bei welchen Kundengruppen bestimmte Erwartungen bewusst übertroffen werden können, um Begeisterung auszulösen. Die Basiserwartungen sollten dabei für alle Kundengruppen stets erfüllt werden, um Kunden, unabhängig vom individuellen Gewinnpotenzial, ein positives Serviceerlebnis zu bieten.

INITIIERUNG UND IMPLEMENTIERUNG

Solch weitreichende organisatorische Veränderungen erfordern die höchste Managementpriorität seitens des Vorstands. Dieser hat die Implementierung kontinuierlich zu überwachen und ist gleichzeitig wichtigster Motor der Veränderung. Auch hier kommt dem Vorstand eine neue Rolle zu: Warum können Kunden z.B. via Twitter relativ einfach Unternehmenslenker wie Jeff Bezos, Gründer und CEO von Amazon, und Elon Musk, Gründer und CEO von Tesla, über ein positives oder negatives Erlebnis berichten, aber fast keinen der deutschen Bankvorstände über Social Media direkt erreichen?

MITARBEITERBEGEISTERUNG UND –STOLZ

Die eigene Begeisterung der Mitarbeiter und der Stolz bei dem jeweiligen Institut zu arbeiten, entzünden durch das daraus folgende Verhalten auch die Begeisterung beim Kunden. Hier spielt vor allem die Unternehmenskultur, geprägt durch Vorstand und Führungskräfte, eine große Rolle. Widersprüche ergeben sich indes häufig durch eine falsche Ausgestaltung von Steuerungssystemen: Wird z.B. ein Call Center-Agent anhand der durchschnittlichen Gesprächsdauer bewertet, soll aber gleichzeitig für den Kunden nur das Beste geben, ihm empathisch zuhören und ihm eine optimale Lösung anbieten. In diesem, sehr häufig anzutreffenden Fall, steht der Agent im unmittelbaren Spannungsfeld von zwei tendenziell gegenläufigen Zielgrößen. Ein weiteres Beispiel: Soll der Kundenberater einen Kunden, dessen Erträge einem Kollegen zugerechnet werden, diesen Kunden doch beraten oder im Zuge der eigenen Zieloptimierung seine Arbeitszeit lieber für die eigenen Kunden nutzen? Widersprüche dieser oder ähnlicher Art gilt es konsequent aufzulösen.

RESSOURCEN

Die Erzeugung von herausragenden Kundenerlebnissen erfordert zudem Investitionen in Ressourcen und Sachmittel. Während Personalressourcen meist im erhöhten Maß vorhanden sind, besteht vor allem Nachholbedarf bei den immateriellen Ressourcen, z.B. dem Wissen über die Kundenbedürfnisse und -erlebnisse. Die Implementierung und konsequente Umsetzung eines CRM-System sei hier als Beispiel genannt. Um Kunden zu begeistern, müssen die Erwartungen bekannt sein und eine Historie über bisherige Kundenerlebnisse jedem Mitarbeiter zur Verfügung stehen. Nur so ist ein empathisches Agieren möglich.

MANAGEMENT DES KUNDENERLEBNISSES

Wie bereits erläutert, bedeutet herausragender Service nicht nur das freundliche Telefonat oder den freundlichen Empfang in der Filiale, sondern viel mehr ein an allen Kontaktpunkten (persönlich, schriftlich, telefonisch, online) konsistentes Kundenerlebnis, das persönlich, wertschätzend, unkompliziert und schnell ist. Die größten Herausforderungen bestehen hier vor allem in der Verzahnung aller Kontaktpunkte und dem Einsatz von effizienten, digitalen Prozessen. Bei der Erarbeitung der Abläufe und Prozesse ist dabei stets der Blickwinkel des Kunden einzunehmen. Nur so kann sichergestellt werden, dass ein Kundenerlebnis entsteht, das begeistert. Hier besteht aktuell der größte Handlungsbedarf: Das Kundenerlebnis mit Kreditinstituten erscheint im Vergleich mit Dienstleistern anderer Branchen noch sehr komplex und langsam.

SERVICEINNOVATION UND –ERFORSCHUNG

Wenn man sich als Unternehmen dem herausragenden Serviceangebot verschreibt, ist eine ständige Weiterentwicklung notwendig. Zum einen entwickelt sich der Wettbewerb ebenso weiter, zum anderen verändern sich die Kundenerwartungen fortlaufend. Ein Erlebnis, welches heute über den Kundenerwartungen liegt, ist morgen bereits nur noch Standard, da der Kunde das Erlebnis in seine Erwartungshaltung integriert hat. Somit ist eine anhaltende Kreativität und ein kontinuierliches Experimentieren notwendig, um neue Serviceangebote für den Kunden zu kreieren und die bestehenden Produktlösungen an die veränderten Kundenbedürfnisse anzupassen.

MESSUNG VON ÜBERRASCHUNG UND BEGEISTERUNG

Durch die Messung von Kundenbegeisterung beispielsweise mittels Net Promoter Score (NPS) kann an allen Kontaktpunkten auf eine schnelle und vor allem für den Kunden einfache Art und Weise evaluiert werden, wie gut es der Bank gelungen ist, die Kunden positiv zu überraschen. Verbunden mit der Evaluierung der Mitarbeiterbegeisterung bilden diese Untersuchungen die Ausgangsbasis für die laufende Weiterentwicklung der Organisation und der einzelnen Kontaktpunkte.

TECHNOLOGIE UND PROZESS-EXZELLENZ

Selbst die engagiertesten Mitarbeiter können den Kunden nicht über komplizierte und langwierige Prozesse hinwegtäuschen. Daher ist neben den bereits genannten Handlungsfeldern ebenso wichtig, dass die Servicefunktionalitäten durch die Nutzung der neuesten Technologien laufend verbessert werden. Warum kann man heutzutage nahezu jeden gefahrenen Kilometer eines Pakets zum Empfänger live nachverfolgen, der Status einer Kreditanfrage bleibt jedoch intransparent? Im Optimum unterstützen die Prozesse die Erbringung einer herausragenden Dienstleistung, in dem sie den Mitarbeitern helfen, sich ganz auf die Aktivitäten konzentrieren zu können, die für die Kunden relevant sind.

FAZIT

Die Studie zeigt vor allem zwei Dinge: Zum Ersten ist zusätzlich zur digitalen Transformation eine strategische Positionierung über das Angebot von herausragenden Kundenerlebnisse anzustreben. Zum Zweiten sind umfangreiche und vor allem langfristig angelegte organisatorische Maßnahmen für deren erfolgreiche Umsetzung notwendig. Herausragender Service ist weder ein temporäres Projekt, noch eine kurzfristig realisierbare Aktion, sondern ein dauerhaftes Credo. Im weiteren Verlauf des Dissertationsprojektes werden diese Erkenntnisse vertiefend quantitativ untersucht und etwaige betriebswirtschaftliche Effekte evaluiert.

Bildquelle: https://unsplash.com/@spiritvisionstudios

Über den Autor: Prof. Dr. Jürgen Weimann

Dr. Jürgen Weimann ist einer der führenden Managementberater für Zukunftsfähigkeit durch wirkungsvolle Führung und kompromisslose Kundenzentrierung mit Schwerpunkt im Sparkassen Consulting & Bank Beratung.

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