Zukunftsangst trifft Unzufriedenheit

Zukunftsangst

Aktuell fallen meine Gespräche mit Mitarbeitern vollkommen gegensätzlich zu meinen Begegnungen mit Vorständen aus. Während die Mitarbeiter sich eher darüber austauschen, was sich im Vergleich zu früher verschlechtert hat, haben die Vorstände schlicht Angst um die Zukunft ihrer Sparkasse. Genau hier gilt es anzusetzen. In der jetzigen Situation braucht es den vollen Einsatz jedes Einzelnen, um die Sparkasse in die Zukunft zu führen.

Aus der Niedrigzinsphase ist eine Minuszinsphase geworden. Mittlerweile wurde auch die letzte Hoffnung auf steigende Zinsen zerschlagen. Beim Blick in die aktuellen Prognosen entsteht bei vielen Vorständen ein Gefühl irgendwo zwischen Angst und Resignation. Das Geschäftsmodell der Sparkassen steht so stark unter Druck wie selten zuvor. Da ist es verständlich, dass viele Vorstände pessimistisch in die Zukunft blicken. Die getroffenen Maßnahmen, wie z. B. die Anpassung der Giropreise, werden bei den meisten Instituten nicht ausreichen, um die Zukunft zu sichern. Zusätzlicher Druck kommt aus der Vertriebsplanung, da es vielen Sparkassen bisher nicht gelungen ist, die selbst gesteckten Ertragsziele zu erreichen. Wollte man die aktuelle Diskussion unter Vorständen in einem Worten zusammenfassen, so wäre es aus meiner Sicht: Zukunftsangst.

Würde ich jedoch versuchen, die Gespräche innerhalb der Belegschaft zusammenzufassen, so wäre es: Unzufriedenheit. In Sparkassen herrscht in der Regel eine hohe Betriebszugehörigkeit, somit ist aus der Sicht eines Mitarbeiters, der bereits seit über 10 Jahren bei der Sparkasse arbeitet, im Vergleich zu früher vieles schlechter geworden. Vertriebsziele wurden deutlich erhöht, die Anforderungen an Geschwindigkeit und Produktivität sind massiv gestiegen und noch viele weitere Aspekte haben sich im Vergleich zu früher verändert. Aus Sicht vieler Mitarbeiter: negativ verändert.Auch wenn diese Unzufriedenheit nicht die Realität wiederspiegelt, denn im Vergleich zu anderen Unternehmen, sind die Anforderungen in Sparkassen weitestgehend moderat.

Würde man diese Situation auf den Mannschaftssport übertragen, sähe es so aus: Während der Trainer schlaflose Nächte aufgrund der Abstiegssorgen hat, ist die Mannschaft mit sich selbst beschäftigt und anstatt alles zu geben, um nicht zu versagen, verbringt sie ihre Zeit mit dem Philosophieren über die Erfolge der Vergangenheit und dem Austausch wie schlecht alles geworden ist. Wie kann das sein?

Wenn man es sich leicht machen wollte, könnte man aus dieser Situation den Schluss ziehen, dass die Mitarbeiter schlicht unfähig und/oder uninteressiert sind, um die prekäre Situation richtig einzuschätzen, und keine Lust haben, gegenzusteuern, weil die Sparkasse ihnen egal ist. Dieser Erklärungsversuch deckt sich jedoch nicht mit meiner Wahrnehmung aus unzähligen Gesprächen, Fokusgruppen und Workshops mit vielen Mitarbeitern unterschiedlicher Sparkassen. Den Mitarbeitern liegt sehr viel an „ihrer“ Sparkasse. Die Unterschiede in Wahrnehmung und Verhalten von Vorstand und Belegschaft erklären sich häufig dadurch, dass es dem Vorstand und den Führungskräften bisher nicht gelungen ist, den Ernst der Lage, aber auch die Möglichkeiten der Auswege, klar zu vermitteln. Hierbei erlebe ich häufig folgende Ursache:

Die betriebswirtschaftliche Situation ist nicht transparent

Hauptmedium der Informationsvermittlung für Mitarbeiter der Vertriebe sind die jeweiligen Zielkarten – und hier beginnt meistens schon die Intransparenz. Aufgrund von Vetos der Personalräte können die Mitarbeiter häufig nicht die komplette Produktion der Vertriebe einsehen, sondern immer nur den eigenen Anteil daran. Mitarbeiter in den Stabs- und Marktfolgeeinheiten haben häufig nur die Informationen aus der einmal im Jahr stattfindenden Personalversammlung und nicht selten herrscht unterjährig „Blindflug“ in Hinblick darauf, wie es der Sparkasse eigentlich geht. Im Ergebnis entsteht daraus ein kompletter Fokus auf sich selbst; jeder schaut auf seinen eigenen Vorteil, jeder fokussiert sich auf die Ziele, die für die Beurteilung der eigenen Leistung herangezogen werden und aus einer als Team gedachten Sparkasse wird eine egozentrierte Organisation.

Während der Vorstand Zukunftsangst bezogen auf die gesamte Sparkasse hat, beschäftigen sich die Mitarbeiter hauptsächlich mit ihrer eigenen Unzufriedenheit – und selten damit, mögliche Auswege für das Gesamthaus zu finden.

Hinzu kommt in einigen Sparkassen, dass Mitarbeiter, die nicht im Vertrieb tätig sind, keine jährlichen Ziele haben und somit menschliche Weiterentwicklung in den Stäben und Marktfolgen systemisch keinen Anreiz findet. Wie sollen Menschen einen inneren Antrieb finden, um ihr volles Potenzial zu entfalten, wenn keine Klarheit über die aktuelle Situation herrscht? Zugespitzt verstehen die Vertriebsmitarbeiter zwar die Zusammenhänge und Wirkungsweisen der eigenen Zielkarte, haben jedoch keinerlei Überblick über die Auswirkungen im Gesamthaus. Anders ist z. B. ein so unsinniges Verhalten wie unterjährige Kundenumschlüsselungen zugunsten der eigenen Zielkarte nicht erklärbar. Mitarbeiter aus den Stabs- und Marktfolgeeinheiten haben einen genauen Überblick über den eigenen Arbeitsbereich und Schreibtische, schauen jedoch nur selten darüber hinaus. Was ist also zu tun?

1)     mitarbeiterorientierte Vermittlung der aktuellen betriebswirtschaftlichen Situation

2)    Aufzeigen der betriebswirtschaftlichen Zusammenhänge, die über den eigenen Arbeitsbereich hinausgehen

3)    Unfähige Führungskräfte konsequent austauschen

Mitarbeiterorientierte Vermittlung bedeutet keine Screenshots aus der Prognose

Die Unternehmenssteuerung und die Sparkassenverbände stellen die Kennzahlen über die betriebswirtschaftliche Situation in der Regel in Tabellenform zur Verfügung. Häufig verwenden Vorstände und Führungskräfte lediglich Screenshots dieser Tabellen zur Präsentation der Daten – im Ergebnis ein unleserlicher „Zahlenfriedhof“. Irgendwo ganz klein erscheint dann das Betriebsergebnis und der Entstehungsprozess lässt sich kaum nachvollziehen. Mitarbeiterorientierte Vermittlung heißt für mich vor allem eine ansprechende optische Aufbereitung in z. B. Diagrammen, die nur den wesentlichen Teil der Daten enthalten. Zusätzlich EUR-Größen zur Orientierung, da diese vor allem bei der Personalversammlung oder in den Vertriebsmeetings eine ganz andere Wirkung haben. „Wir brauchen eine Steigerung des Betriebsergebnisses um 0,2.“ ist deutlich schwerer zu verstehen als „Wir brauchen eine Steigerung unseres Betriebsergebnisses um 5 Mio. €.“. Dies betrifft auch die Zielkarten in den Vertrieben.

Die Frage „Wie groß ist Ihr Beitrag zum Gesamterfolg der Sparkasse, wenn Sie alle Ihre Ziele erreichen?“ können nur wenige Mitarbeiter beantworten. Aus einer „fehlenden Zielerreichung im Bausparen von aktuell 30%“ wird dann „Um unser Jahresziel von X € zu erreichen, brauchen wir einen Monatsbeitrag von 3‘€, dass bedeutet von jedem 700€ Monatsbeitrag, also ein Finanzierungs-/Vorsorgevertrag von 100‘€ Bausparsumme.“. Häufig sind sich die Sender gar nicht mehr bewusst, in welch hoher Abstraktionsstufe sie kommunizieren. Solange nicht jeder Mitarbeiter weiß, welchen Ergebnisbeitrag er ganz persönlich zum Gesamterfolg der Sparkasse beizutragen hat, fällt es schwer, aus einer egozentrierten Sparkasse eine Sparkasse mit einem starken Teamgefühl zu machen.

Grundwissen in der Banksteuerung aktiv vermitteln

Das Ziel soll nicht sein, alle Mitarbeiter zu Banksteuerern auszubilden. Aber die grundsätzlichen Zusammenhänge und Wirkungsweisen einer Sparkasse sollten allen bewusst sein, was aktuell faktisch nicht der Fall ist. So können viele Mitarbeiter folgende beispielhafte Zusammenhänge häufig nicht beantworten:

  • Was bringt die Schließung einer Filiale im Durchschnitt?
  • Wie viel kostet ein Mitarbeiter die Sparkasse im Durchschnitt?
  • Welchen Einfluss haben die Erträge aus dem Depot A (Was ist das überhaupt?) auf das Gesamthaus?
  • Was bedeutet die Ertragssteigerung von X € in z. B. Fondsabsatz?

Vereinfacht ausgedrückt: Wenn ich die Regeln des Spiels nicht kenne, kann ich mich nicht mit voller Leistung einbringen. Auch hier lässt sich wieder ein Vergleich zum Mannschaftssport ziehen. Nur wenn alle Mitglieder des Teams von Anfang an wissen, nach welchen Regeln das Spiel funktioniert und was das Ziel ist, kann sich jeder ideal einbringen. Daher fragen Sie sich selbstkritisch: Wie klar ist zum einen das Ziel in Ihrer Sparkasse und zum anderen die geltenden Regeln, um dieses Ziel zu erreichen?

Vorstand und Führungskräften muss es gelingen, dem Großteil der Belegschaft deutlichzumachen, dass es um nichts weniger als die Existenz der Sparkasse geht, und Wege aufzuzeigen, die in die Zukunft führen. Dies setzt voraus, dass alle Führungskräfte auch den aktuellen Anforderungen gewachsen sind. Nur dann kann die aktuell bedrohliche betriebswirtschaftliche Situation dazu führen, dass sich ein Teamgeist entwickelt, der so stark ist, dass die Zukunftsangst der Vorstände und die Unzufriedenheit der Mitarbeiter dem gemeinsamen Momentum weichen.

Über den Autor: Prof. Dr. Jürgen Weimann

Dr. Jürgen Weimann ist einer der führenden Managementberater für Zukunftsfähigkeit durch wirkungsvolle Führung und kompromisslose Kundenzentrierung mit Schwerpunkt im Sparkassen Consulting & Bank Beratung.

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