Ist eine variable Vergütung noch zeitgemäß?
Vertriebsorganisationen haben variable Vergütungssysteme – je nach persönlicher Zielerreichung des Mitarbeiters, wird diesem einmal im Jahr eine Prämie ausgezahlt. Auf den ersten Blick eine gute Sache. In zahlreichen Sparkassen und Banken löst dieses System jedoch vor allem zwei Dinge aus: Unzufriedenheit und Aufwand. Daher stellt sich die Frage: Ist eine variable Vergütung noch zeitgemäß?
Unzählige Veröffentlichungen haben sich bereits mit der Ausgestaltung oder Sinn- bzw. Unsinnhaftigkeit von variablen Vergütungsmodellen beschäftigt. Die praktischen Ausgestaltungen könnten kaum heterogener sein. Von Punktesystemen, die je Produktkategorie unterschiedlich sind, über sogenannte Ligamodelle, die Teams gegeneinander antreten lassen, bis hin zur „Gutsherren-Methode“, bei der der Bonus schlicht vom Vorstand entschieden wird, sind zig Varianten im Einsatz. Ein paar Gemeinsamkeiten haben allerdings alle dieser Variationen:
- motivatorische Wirkung fraglich– Wirken die vorhandenen Modelle tatsächlich so, wie sie sollten?
- hoher Verwaltungsaufwand– Pflege von Statistiken, Erstellung von Reports, teilweise Schattencontrollings, manuelle Berichtigungen – um nur ein paar Aufwände zu nennen
- niedrige auszuschüttende Beträge– Im Verhältnis zur Gesamtvergütung macht der variable Anteil meist unter 10% der Gesamtvergütung aus.
Lassen Sie uns die Gemeinsamkeiten ein wenig näher betrachten.
Motivatorische Wirkung fraglich
Um wie viel Prozent ist die Effektivität Ihrer Mitarbeiter höher durch den Anreiz einer variablen Vergütung? Wie viele Produkte verkaufen Ihre Verkäufer mehr? Fragen dieser Art sind für die meisten Organisationen nur schwer zu beantworten, meist fehlt die Evidenz über tatsächliche Auswirkungen.
Ebenso wenig wird der Blickwinkel beleuchtet, wie viele Mitarbeiter durch dieses Vergütungsmodell frustrierter und somit unproduktiver sind. Aus meiner Sicht liegt hier vor allem ein Denkfehler in der Grundhaltung von variablen Vergütungssystemen zugrunde. Der Theorie X von Douglas McGregor folgend, geht die Führungskraft davon aus, dass der Mitarbeiter in seiner Grundeinstellung faul ist und versucht, Arbeit so gut es geht zu vermeiden. Daher braucht er vermeintlich Außeneinflüsse wie z.B. Kontrolle durch die Führungskraft oder einen finanziellen Anreiz, um seine Arbeitskraft auch wirklich im Sinne des Unternehmens umzusetzen. Man kann diese Denkweise vergleichen mit dem Karotten-Prinzip, bei dem der Esel nur dann vorangeht, wenn ihm als Anreiz eine Möhre vor die Nase gehalten wird. Doch ist dies in der Realität wirklich so? Sind Ihre Mitarbeiter faul und demotiviert? Bereits 2014 schrieb Reinhard Sprenger in seinem Buch „Mythos Motivation“, dass Mitarbeiter sich nicht von außen motivieren lassen. Motivation ist vielmehr eine aus dem Inneren kommende Haltung, die nur durch äußere Umstände der Organisation verhindert werden kann. Somit solle der Managementfokus darauf liegen, Demotivation zu vermeiden.
Die Theorie Y unterstellt ein grundsätzlich anderes Menschenbild: Menschen möchten sich aktiv einbringen und mit ihrer Arbeitskraft wirken. Vereinfacht gesagt steht hier der Wert Vertrauen an oberster Stelle, während bei der ersten Theorie dem Mitarbeiter eher Misstrauen entgegengebracht wird. Macht somit ein rein nach quantitativen Faktoren erstelltes Vergütungsmodell den Mitarbeiter nicht zum „Esel“, der ohne die Karotte vor der Nase nicht bereit ist, sich einzubringen? Ganz zu schweigen von den vielen „Grauzonenfällen“ – z. B. der Mitarbeiter, der nach langer Krankheit zurückkehrt und Vollgas gibt, aber aufgrund der langen Abwesenheit keine Chance mehr hat, die Jahresziele zu erreichen, oder der Mitarbeiter, dessen Stärken vor allem in der Unterstützung des Teams liegen, bei dem quantitative Aspekte aber meist vollkommen unterrepräsentiert sind. In diese Grauzone fallen häufig auch die Mitarbeiter in den Stäben und Marktfolgen; haben diese nicht auch zum Erfolg beigetragen?
Hoher Verwaltungsaufwand
Blickt man im Rahmen des Ressourcen-Allokations-Programms „PARES kompakt“ auf die Zeiterfassung in der S-Finanzgruppe, so sind Vorstände regelmäßig geschockt, wie viele Ressourcen sich mit dem Controlling beschäftigen. Meist verbinden sie mit Controlling nur die Menschen, die in der entsprechenden Abteilung arbeiten – die Realität sieht aber erschreckend anders aus, fast die gesamte Organisation beschäftigt sich damit. Variable Vergütungssysteme führen zu einem nicht wertschöpfenden Verwaltungsaufwand. Zunächst muss der Vertriebsmitarbeiter alle seine Abschlüsse erfassen, häufig sogar in unterschiedlichen Systemen. Um auf Nummer sicher zu gehen, führt der Mitarbeiter auch noch eine eigene Statistik, um etwaige Unklarheiten oder nicht gewertete Erfolge auch später noch klären und nachweisen zu können. Sollten dann Unstimmigkeiten zwischen der eigenen Statistik und dem erstellten Report auftreten, löst dies endlose Diskussionen und manuelle Berichtigungen aus. Am Jahresende werden dann sämtliche Zielerreichungen errechnet und anhand eines Verteilschlüssels die auszuzahlenden Beträge ermittelt. Viele von Ihnen kennen all diese und noch weitere Elemente. Ich behaupte, dass bei 95% der aktuell im Einsatz befindlichen variablen Vergütungssysteme der notwendige organisatorische Aufwand die auszuschüttende Summe um mindestens das Doppelte überschreitet. Ein betriebswirtschaftlicher Totalschaden.
Auszuschüttende Beträge
Die vorangegangenen Erläuterungen zeigen: Die in erster Linie negativen Auswirkungen variabler Vergütungssysteme sind immens. Nun könnte man annehmen, dies alles nimmt man auf sich, weil die Beträge, die dann zur Ausschüttung kommen, so hoch sind, dass der Aufwand gerechtfertigt wäre. Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Häufig liegen die auszuschüttenden Beträge zwischen 500 und 5000 €. Auf den ersten Blick viel Geld, doch im Verhältnis zum jeweiligen Jahresbruttogehalt der Mitarbeiter sind es meist weniger als 10% der Gesamtbezüge. Betrachtet man Direktvertriebe, so finden sich hier Menschen, die vor allem monetär motiviert sind und es daher genießen, im Einzelkämpfertum die Möglichkeit einer schier unendlichen Vergütung zu haben. Doch gerade in Sparkassen und im weiteren Bankenbereich ist beides nicht gegeben. Zum einen arbeitet der rein geldmotivierte Einzelkämpfer-Verkäufer nicht bei der Sparkasse, zum anderen ist die Möglichkeit, „unendlich viel zu verdienen“ hier schlicht nicht gegeben. Ganz im Gegenteil: Bei den meisten Systemen spielt es aus monetärer Sicht fast keine Rolle, ob der Mitarbeiter 100% Zielerreichung oder 140% Zielerreichung hat. Nicht selten wird sogar schon ab 80% ausgeschüttet. Das ist nett gedacht, gleichzeitig aber absolut grotesk – oder würde die Lufthansa einem Piloten einen Bonus geben, wenn er neben der Landebahn landet?
Die motivatorische Wirkung ist fraglich, der Verwaltungsaufwand immens und die auszuschüttenden Beträge im Verhältnis zum Gesamtverdienst so überschaubar, dass man teilweise fast nicht wirklich von einer variablen Vergütung sprechen kann. Doch was tun? Abschaffen oder verändern? Das aus meiner Sicht sinnvollste Modell wäre die Abschaffung der variablen Vergütung in der jetzigen Ausführung und die Beteiligung aller Mitarbeiter am Unternehmenserfolg. Denn sollten sich Mitarbeiter in Ihrer Organisation befinden, die nicht zum Unternehmenserfolg beitragen, dann sollten Sie diesen schnellstmöglich kündigen. Der Unternehmenserfolg ist eine Teamleistung aller, daher sollte man hierbei den Fokus nicht nur auf den Vertrieb legen.
Gleichwohl darf man bei dieser Empfehlung nicht außer Acht lassen, dass jedes Institut eine ganz eigene Historie hat. Somit sind die Mitarbeiter unterschiedlich an das Vergütungsmodell gewöhnt. Eine einfache Abschaffung von jetzt auf gleich könnte daher zu einer noch größeren Demotivation führen. Ähnlich wie beim Rentensystem, wird es nie ein für alle faires Modell geben. Es gilt nun vor allem, das bestehende Vergütungsmodell zu hinterfragen. Die Teamleistung am besten einschätzen können, sollte die jeweilige Führungskraft. Dies setzt allerdings voraus, dass Ihre Führungskräfte wirkliche Führungskräfte sind und nicht nur reine Verwalter (lesen Sie hierzu auch meinen Artikel „Herbststurm für Ihre Führungsriege“). Gleichzeitig spielt Ihre Unternehmenskultur eine große Rolle. Häufig werden Zielsysteme dafür benutzt, Scheinquantifizierungen von Wunschvorstellungen des Managements vorzunehmen, was zum einen nichts bringt und zum anderen aus reiner Verzweiflung geboren wurde, da in Wahrheit Ihre Führungskräfte schlicht unfähig sind (lesenswert hierzu: „Was Ihre Zielfelder über Ihr Unternehmen aussagen“). Was also tun?
Ich empfehle eine kurze Bestandsaufnahme, orientiert an folgenden Schritten:
- Quantitative Auswirkungen: Wie hoch ist das Gesamtbudget? Wie wirkt es am Einzelnen? Welcher Verwaltungsaufwand wird dadurch ausgelöst?
- Qualitative Auswirkungen: Was spiegeln die Mitarbeiter zum aktuellen Vorgehen?
Auf Basis dieser Erkenntnisse gilt es, das Vergütungsmodell dahingehend zu verändern, dass außergewöhnliche Teamleistungen belohnt werden, die „Normalleistung“ jedoch durch die Fixvergütung direkt fair bezahlt wird. Denn aktuell ist die variable Vergütung nicht selten eine „Krückenlösung“.