Produktivitätskiller Rechthaberei

„Hab ich doch gleich kommen sehen!“, „Wie konnte Sie nur?“ – diese oder ähnliche Aussagen haben immer nur eine Ursache: Recht haben zu wollen. Dieses ganz und gar menschliche Phänomen lässt sich nicht nur in der Sparkasse oder anderen Organisationen beobachten, sondern in vielen anderen Lebensbereichen. Im Straßenverkehr gibt es fürs „Rechthaben“ sogar ein Signal: die Hupe, am besten noch unterstützt durch wilde Gesten. Manche scheinen hier sogar weniger an ihrem Leben zu hängen als daran, Recht zu haben; z. B. wenn Fußgänger strammen Schrittes den Zebrastreifen betreten, ohne sicherzugehen, dass der herankommende Autofahrer anhält. In Organisationen führt die Rechthaberei zu ausufernden Gesprächen oder Abstimmungen und verbrennt Unsummen an Geld. Wie wäre es, wenn es zukünftig viel mehr um das Ziel ginge?

Blicken wir mal aus einem privaten Blickwinkel auf das Thema. Nach einem erfüllten Arbeitstag fahren Sie nach Hause, in Vorfreude auf einen schönen Abend mit Ihrem Partner. Sie kommen nach Hause und Ihr Partner begegnet Ihnen enttäuscht, weil Sie nur an einen Teil der gestern besprochenen Einkäufe gedacht haben. Schon geht der „Kampf“ los: „Wir hatten nur über x gesprochen und nicht über y.“ – „Nein, auch y haben wir definitiv besprochen“ etc. – Entsteht so ein schöner Abend? In vielen Fällen nicht. Wie wäre die gleiche Situation, wenn man versuchte, den anderen liebevoll an das gemeinsame Ziel zu erinnern, in diesem Fall an den schönen Ausklang des Abends. Wenn man weniger nach der Trennung ginge, wer nun was gesagt hat, wer richtig oder falsch liegt, wer Recht und Unrecht hat, sondern nach der Verbindung suche: Was wollen wir gemeinsam erreichen und was können wir aus der Situation lernen?

Oder nehmen wir noch ein anderes Beispiel. Sie kommen mit einem Herzen voller schöner Momente aus dem Urlaub und möchten all die Erlebnisse mit einem Bekannten teilen. Dieser unterbricht Sie und sagt: „Ja, weiß ich, da war ich auch schon.“ Entsteht so ein verbindendes Gespräch? Selbiges betrifft die berufliche Perspektive. Beobachten Sie die nächsten fünf Meetings, an denen Sie teilnehmen (im Übrigen auch ein Produktivitätskiller), mal ganz bewusst. In wie vielen dieser Meetings geht es wirklich um das Erreichen eines gemeinsamen Ziels und in wie vielen um Selbstdarstellung und Rechthaberei?

Statt aus einem gescheiterten Projekt zu lernen, werden Tage und unzählige Besprechungen damit verbracht, den Schuldigen auszumachen und mühevoll nachzuweisen, dass man es in seiner Abteilung „schon hat kommen sehen“ und somit unschuldig ist. Ich möchte hier ganz bewusst noch mal auf die beiden Begriffe „Trennung“ und „Verbindung“ eingehen. Ist eine Organisation nicht dann besonders flexibel und erfolgreich, wenn es gelingt, die Mitarbeiter miteinander zu verbinden, getreu dem alten Motto „Einer für alle, alle für einen“? Führt der penible Streit mit Ihrem Nachbarn über die Höhe der Hecke zu einem wundervollen Miteinander, oder doch eher das gemeinsame Grillen? Recht haben zu wollen führt im Ergebnis immer zum Kampf, zu Meinung gegen Meinung, und kennt daher nur einen Gewinner (der Recht hat) und einen Verlierer (der im Unrecht ist). Was bringt der Kampf „Vertrieb gegen Marktfolge“ der Sparkasse? Welche Wertschöpfung entsteht aus der Diskussion, welches Vorstandsressort nun das erfolgreichere ist, wenn die gesamte Sparkasse ums Überleben kämpft? Die Wahrheit ist: Dieses Verhalten führt nicht nur zu nichts, es zerstört auch noch die menschliche Verbindung durch Auslösen von Scham und Schuld, und verbrennt mit der Suche nach dem Recht Zeit und somit Geld.

Wenn Sie es sich leicht machen wollen, dann könnten Sie an dieser Stelle nun die Haltung einnehmen „Alles nachvollziehbar, aber ich bin halt von Rechthabern umgeben“. Eine der zentralsten Blockadehaltungen in Hinblick auf Veränderungen. Bevor ich mich selbst ändere, soll sich doch erst einmal der andere ändern. Was ich mir an dieser Stelle wünsche, ist das Reflektieren Ihres eigenen Verhaltens. In welchen Situationen wollten Sie am gestrigen Tag „Recht haben“? Wo ist Ihre kindliche Neugierde hin, die nicht der Meinung ist, dass Sie Recht haben, sondern dass der andere einen spannenden Aspekt einbringt, den Sie vielleicht noch nicht erkennen? Zwei Gedanken möchte ich Ihnen für kommende Begegnungen mitgeben:

  1. Klarheit– Was ist unser gemeinsames Ziel?
  2. Haltung– Was kann ich aus dem Blickwinkel des anderen lernen?

Egal ob es um ein Telefonat, ein Meeting oder ein Mitarbeitergespräch geht. Führen Sie keines dieser Gespräche, ohne nicht klar festgelegt zu haben, was das konkrete gemeinsame Ziel ist, was erreicht werden soll. Das hilft Ihnen nicht nur, sich spezifisch vorbereiten zu können, sondern auch, währenddessen immer wieder den Fokus zurückzugewinnen, indem Sie sich fragen: Führt das, was oder wie wir es gerade diskutieren, zu unserem Ziel? Helfen Sie allen mit einer Frage, die in Richtung Ziel deutet. Häufig driften Gespräche ab und das gemeinsame Ziel wird aus den Augen verloren. Ich bin weit von Perfektion entfernt und erlebe selbst Situationen, in denen ich Recht haben will. Doch es ist mir gelungen, diese Momente auf eine niedrige Anzahl zu reduzieren und zusätzlich diese Situationen zu erkennen und zu reflektieren, um künftig noch seltener in solche Momente des Rechthabens zu rutschen. Dies setzt voraus, die eigene Person, oder konkreter, das eigene Ego nicht zu ernst zu nehmen. In jedem Kontrapunkt oder anderen Blickwinkel steckt die Chance, etwas zu lernen. Die Frage ist nur: Bin ich bereit dazu? Vielleicht sind die geäußerten Zweifel des Kollegen relevant für das gemeinsame Ziel? Vielleicht können wir etwas daraus lernen, um noch erfolgreicher zu werden? Vielleicht ist ja der Blickwinkel meines Gegenübers derjenige, der schneller zum Ziel führt?

Die Marktveränderungen und das geänderte Kundenverhalten stellen die gesamte Branche unter großen Druck. Daher gilt es, die internen „Kriege“ zu minimieren, wo es nur geht. Das verbindende schafft Zukunft, nicht das Trennende. Daher fokussieren Sie sich auf die gemeinsamen Ziele, anstatt sich in Rechthaberein zu verlieren. Behalten Sie immer im Hinterkopf: Wenn neben einer Kaffeetasse der Löffel aus Ihrer Sicht rechts liegt, liegt er aus dem Blickwinkel des Gegenübers links – Wer hat nun Recht?

Über den Autor: Prof. Dr. Jürgen Weimann

Dr. Jürgen Weimann ist einer der führenden Managementberater für Zukunftsfähigkeit durch wirkungsvolle Führung und kompromisslose Kundenzentrierung mit Schwerpunkt im Sparkassen Consulting & Bank Beratung.

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