Verantwortung zurückgeben – Agilität bedeutet, Mitarbeiter nicht mehr dumm zu halten
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(Dieser Artikel erschien zuerst im Managermagazin der S-Finanzgruppe)
Schnelle Entscheidungen werden getragen von schnellen Entscheidungswegen – und diese erfordern Mitarbeiter, die Verantwortung übernehmen können.
Allzu häufig hören Kunden noch immer Sätze wie „Ich kann Ihnen morgen eine Rückmeldung geben“ oder „Nach Rücksprache mit … können wir …“. Betrachtet man die Aufbau- und Ablauforganisation zahlreicher Sparkassen, so scheint die „Theorie X“ über Mitarbeiter, die MIT-Wissenschaftler Douglas McGregor 1960 vorstellte, noch immer Bestand zu haben: Ihre Grundannahme lautet, Mitarbeiter seien dumm und faul und müssten kontrolliert werden; Führung müsse durch Druck dafür sorgen, dass die Unternehmensziele erreicht werden.
„Jede Führungskraft hat die Mitarbeiter, die sie verdient“, lautet ein häufig zitierter Wahrspruch. Er soll den Einfluss der Führungskräfte auf die Mitarbeiter ausdrücken. Häufig erlebt man die Situation aber genau umgekehrt: Vorstände, die sich über die Unwilligkeit ihrer Mitarbeiter beschweren, Führungskräfte, die als Grund des Scheiterns ihrer Vertriebsideen die Mitarbeiter anführen etc. In jedem Fall eine bizarre Verschiebung von Verantwortung.
Klingende Titel ersetzen nicht verantwortungsvolle Tätigkeiten
Vielfach sieht die Realität, vereinfacht ausgedrückt, so aus: Während die Kompetenz des einzelnen Mitarbeiters eingeschränkt ist, nimmt das Top-Management an Tagungen und Seminaren zum Thema „Digitalisierung und Agilität“ teil und wundert sich, warum im eigenen Unternehmen so wenig Mitarbeiter Verantwortung übernehmen und noch kein „digitales Mindset“ vorherrscht. Die Ursache ist überall die gleiche: Das Top-Management hat die Mitarbeiterfähigkeiten, die es sich in der Vergangenheit „erzogen“ hat. Gerade bei Sparkassen tragen viele Mitarbeiter sehr wohlklingende Titel auf der Visitenkarte: Filialleiter, Direktor, Abteilungsdirektor oder stellvertretendes Vorstandsmitglied erwecken den Anschein, mit dem Titel ginge ebenso Verantwortung und Genehmigungskompetenz einher. Doch in der Realität sind für Sonderkonditionen oder sonstige Sachkosten Genehmigungen der nächsthöheren Führungsebene notwendig. Firmenkundenbetreuer können zwar Finanzierungen in Millionenhöhe genehmigen, aber der Verzicht auf einige 100 Euro Entgelt oder die Einladung zum Mittagessen des Kunden erfordern die Einbindung der nächsthöheren Instanz.
Verantwortliches Handeln erfordert Freiheit
Spricht man mit Vorständen und Führungskräften, so sehnen sich alle nach fähigen Mitarbeitern, die eigenständig Entscheidungen treffen. Doch nur wenige fragen sich, was sie tun können, damit ihre Mitarbeiter entsprechend agieren. Dabei sollten sich alle Sparkassen diese Frage stellen, denn sie ist der Schlüssel dazu, den Mitarbeitern wieder mehr Verantwortung zu geben. Dazu gehört Freiheit, denn nur so sind eigenständige Entscheidungen möglich. Damit tun sich jedoch viele Manager schwer. Am liebsten wären diesen eigenständige Mitarbeiter, die dennoch dauernd nachfragen. Somit hätte die Führungskraft das Gefühl, gebraucht zu werden.
Fehler sind erlaubt
Manches Unternehmen außerhalb der Finanzbranche prämiert regelmäßig den „Fehler des Monats“, um kollektives Lernen zu erreichen und gleichzeitig das Signal zu geben, dass bei freien Entscheidungen und Verantwortungsübernahme auch Fehler passieren dürfen. Gerade im Vertrieb wurde in den vergangenen Jahren Mitarbeitern zunehmend Verantwortung entzogen. Nun ist es notwendig, diesen Trend umzukehren: Es gilt, einzelnen Mitarbeitern wieder mehr Verantwortung zu übertragen. Dies setzt Vertrauen in den Einzelnen voraus. Die schnellste Veränderung lässt sich erreichen durch eine Verhaltensänderung bei den Führungskräften. Zu jedem Gespräch, jeder Genehmigung oder sonstigen Anfrage gehören deshalb zwei Fragen an den betreffenden Mitarbeiter, die Vorstände wie Führungskräfte immer wieder stellen sollten:
- Wie würden Sie entscheiden?
- Was brauchen Sie von mir, damit Sie das nächste Mal diesen Fall allein entscheiden können?
Meetings und Entscheidungen werden mit dieser Vorgehensweise kürzer und weniger; durch freigewordene Zeitressourcen entsteht Mehrwert sowohl bei Kunden als auch für die Organisation. Auch wenn Mitarbeiter anfangs noch skeptisch sind, weil sie bisher anderes erlebt haben und daher bezweifeln, nun tatsächlich allein entscheiden zu dürfen − nach rund sechs Monaten zeigt sich, wie wirkungsvoll die neue Vorgehensweise ist. Die Verantwortungsübernahme in der Organisation steigt, die Erreichung der strategischen Unternehmensziele wird viel leichter − denn mehr Menschen übernehmen volle Verantwortung dafür.
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