Trugschluss des 360-Grad Feedbacks

In vielen Instituten wird derzeit darüber nachgedacht, ein 360-Grad-Feedback für Führungskräfte einzuführen. Mitarbeitende sollen ihre Führungskräfte bewerten, um so eine Rückmeldung zur Qualität der Führung zu erhalten. Auf den ersten Blick wirkt dies wie ein moderner Ansatz, um Führung zu verbessern. Doch ist das wirklich der richtige Weg?

Die Realität zeigt: Gut gemeint ist oft nicht gut gemacht. Denn anstatt die Führungsqualität zu stärken, fördern solche Systeme nicht selten die falschen Verhaltensweisen und untergraben, was Führung eigentlich ausmacht.
Führung bedeutet, Entscheidungen im Sinne des Unternehmenserfolgs zu treffen – und manchmal auch unangenehme. Eine Führungskraft, die stets nur danach strebt, beliebt zu sein, wird kaum in der Lage sein, das Team in schwierigen Zeiten zu leiten. Ein 360-Grad-Feedback setzt jedoch genau hier falsche Anreize: Es belohnt die „Kuschelbären“ und straft diejenigen ab, die konsequent und verantwortungsvoll agieren, auch wenn dies zu Spannungen führt.

Die Gefahr der Mittelmäßigkeit
Das Ziel vieler 360-Grad-Systeme ist es, „schlechte Führung“ zu identifizieren. Doch was passiert in der Praxis? Führungskräfte vermeiden Risiken, treffen weniger mutige Entscheidungen und versuchen, Spannungen im Team zu minimieren – alles, um nicht schlecht bewertet zu werden. Statt dynamischer, klarer Führung entsteht ein Umfeld der Mittelmäßigkeit. Echte Führung bedeutet, für die Mitarbeitenden da zu sein, aber auch das Team in einer produktiven, positiven Spannung zu halten. Diese Balance wird durch ein reines Feedback-System oft nicht abgebildet. Stattdessen entsteht ein verzerrtes Bild: Beliebtheit wird mit guter Führung gleichgesetzt, Konsequenz und Klarheit mit „unbeliebter Führung“.

Den Fokus auf Wirksamkeit legen
Anstelle von Popularität sollte die Wirksamkeit von Führung im Vordergrund stehen. Eine wirksame Führungskraft erzielt Ergebnisse, fördert die Weiterentwicklung der Mitarbeitenden und unterstützt das Team in schwierigen Situationen – auch wenn das nicht immer populär ist.

Systemische Alternativen:

  • Peer-Feedback und Top-Down-Bewertung: Statt die Mitarbeitenden allein über die Führungsqualität entscheiden zu lassen, könnten Feedbacks von Peers (Kolleg:innen auf gleicher Ebene) und Vorgesetzten kombiniert werden, um ein umfassenderes Bild zu schaffen (Nachteil: aufwändig!)
  • Individuelles Coaching statt pauschaler Beurteilung: Führungskräfte sollten regelmäßige Coaching-Möglichkeiten erhalten, um ihre Stärken auszubauen und Schwächen gezielt anzugehen – ohne dass dies in einem „Bewertungssystem“ mündet.

Die Rolle der Kultur nicht unterschätzen
Eine Kultur, die Führung auf Beliebtheit reduziert, wird immer in die Irre führen. Stattdessen sollten Banken und Sparkassen Führung als Verantwortung verstehen – eine Verantwortung, die langfristige Erfolge sichert und die Mitarbeitenden unterstützt, aber auch fordert.

Ein 360-Grad-Feedback mag auf den ersten Blick modern und partizipativ wirken, doch in der Praxis führt es häufig zu falschen Anreizen. Führung ist kein Beliebtheitswettbewerb. Sie erfordert Mut, Klarheit und die Fähigkeit, Spannungen auszuhalten und zu gestalten. Sie sollten sich deshalb fragen, ob sie wirklich Führung fördern wollen – oder nur das Image von „Kuschelbären“.

Über den Autor: Prof. Dr. Jürgen Weimann

Dr. Jürgen Weimann ist einer der führenden Managementberater für Zukunftsfähigkeit durch wirkungsvolle Führung und kompromisslose Kundenzentrierung mit Schwerpunkt im Sparkassen Consulting & Bank Beratung.

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