Direkt-Filiale – Modeerscheinung oder sinnvoller Vertriebsweg?

Vor wenigen Tagen hat die Direkt-Filiale der Stadtsparkasse München eröffnet. Dort können Kunden Montag bis Freitag von 08–20 Uhr ihre Bankgeschäfte telefonisch oder via Text- und Videochat erledigen. Zahlreiche andere Sparkassen beschäftigen sich ebenso mit diesem Vertriebskanal. Ein Leistungsangebot dieser Art ist keineswegs neu. Bereits im Jahr 2010 eröffnete die damalige Sparkasse Werl (heute Sparkasse SoestWerl) die erste „S1-Lounge“ und galt als Pionier in der S-Finanzgruppe. Weitere Sparkassen folgten, zum Beispiel die Sparkasse Oberpfalz-Nord mit der „S@ON“ im Jahr 2015. Doch ist die Eröffnung einer Direkt-Filiale wirklich sinnvoll?

Wer hätte gedacht, dass es im Jahr 2018 noch einen Artikel gibt, der sich im Kern mit einem neuen Filialtyp beschäftigt? Seit Jahren stimmt ein Teil des Markts den Abgesang der Filiale an, ein anderer Teil sieht die Filiale immer noch als den Vertriebskanal Nr. 1 zum Kunden. Beide werden nicht recht behalten. Neue Wege zum Kunden, in Verbindung mit einem Mehrwert bietenden Filialsystem, lassen aus meiner Sicht Zukunft entstehen. Doch ist die Direkt-Filiale überhaupt eine Filiale im klassischen Sinn oder besteht nur Namensgleichheit?

Die Direkt-Filiale ist ein Hybrid aus KSC und Filiale, so steht dem Kunden ein Service- und Beratungsangebot telefonisch oder via Text- und Videochat zur Verfügung. Der Hauptunterschied zur klassischen Filiale ist die erweiterte Erreichbarkeit von meistens Montag bis Freitag, 08–20 Uhr, und der größte Unterschied zum KSC ist die aktive Betreuungsfunktion. Somit kann man eine Direkt-Filiale als „virtuelle Filiale mit erweiterten Öffnungszeiten und einem Beratungsangebot über mediale Kanäle wie z. B. Telefon, WhatsApp, Videoberatung und Chat“ bezeichnen.Eine der größten Fehlannahmen am Markt ist: „Eine Direkt-Filiale ist nur für die jüngere Kundschaft relevant.“ Die Erfahrungen der Sparkassen, die bereits seit einigen Jahren mit einer Direkt-Filiale am Start sind, zeigen, dass dies nicht der Fall ist, sondern Kunden aus allen Altersgruppen einen Mehrwert in diesem Angebot erkennen.

Entscheidend für das Verständnis einer Direkt-Filiale ist, dass sich die am Markt vorhandenen Modelle teilweise grundlegend unterscheiden und somit nur bedingt vergleichbar sind. Hauptunterscheidungskriterien sind vor allem der Vertriebsansatz und die organisatorische Ansiedlung.

Vertriebsansatz: Direkt-Filiale als Vertriebsunterstützung oder aktive Betreuungseinheit?

Die meisten Sparkassen möchten mit der Eröffnung der Direkt-Filiale ihr Leistungsangebot erweitern. Somit stellt die Direkt-Filiale eine weitere Möglichkeit dar, mit der Sparkasse in Kontakt zu treten. Die Direkt-Filiale bietet den Kunden ein definiertes Service- und Beratungsangebot, reagiert aber reaktiv, ohne eine aktive Vertriebsverantwortung für eine ausgewählte Kundengruppe zu übernehmen. Die Hauptbetreuungsfunktion verbleibt in einer stationären Vertriebseinheit.

Ein anderer Weg ist die aktive Vertriebsverantwortung für eine ausgewählte Kundengruppe. Zahlreiche Studien zeigen, dass es der Sparkasse nicht mehr gelingt, alle Kundentypen gleichermaßen zu erreichen. Ein Anteil von 20–35 % der Gesamtkunden ist grundsätzlich zufrieden mit der Sparkasse, entscheidet aber vorwiegend selbst über die finanziellen Belange oder wird mit den bisherigen Vertriebswegen (vor allem meist wegen der Beratungszeiten) nicht mehr erreicht. Für dieses Klientel bietet die Direkt-Filiale große Chancen durch die erweiterten Kontaktzeiten und Möglichkeiten zur Kommunikation, auch diese Kundengruppen wieder zu erreichen. Hier übernimmt die Direkt-Filiale Hauptbetreuungsfunktion und ist der erste Ansprechpartner für den Kunden – ein Weg, den z. B. die Sparkasse Oberpfalz-Nord mit ihrer „S@ON“ gewählt hat. Manche Sparkassen sehen die Direkt-Filiale leider als Effizienzmaßnahme und versuchen hier Kunden zu bündeln, die aus Sicht der Sparkasse nicht mehr rentabel sind, um so Kostenvorteile durch die virtuelle Betreuungsform zu erzielen.

Dies ist ein Weg, von dem ich strikt abrate, denn der Kunde entscheidet immer selbst, welche Form der Betreuung für ihn mehrwertig erscheint und welche er bevorzugt, daher entstehen keine Kostenvorteile, sondern vor allem Frust bei den Kunden und bei den Mitarbeitern der Direkt-Filiale. Eine Direkt-Filiale sollte stets eine Investition in eine Erweiterung des Multikanal-Angebots der Sparkasse sein und somit Mehrwert für den Kunden schaffen. Analog hierzu ist die Diskussion um die Business-Line im Firmenkundengeschäft zu sehen, mehr dazu in meinem Artikel.

Natürlich ist auch eine Mischform denkbar, also die Direkt-Filiale mit einer fest zugeordneten Kundengruppe (aktiver Betreuungsauftrag) und darüber hinaus einem reaktiven Betreuungsauftrag für alle Kunden, die für sich einen Mehrwert sehen und daher auf die Direkt-Filiale zukommen.

Organisatorische Ansiedelung – eigene Vertriebseinheit oder Teil des Kundenkommunikationscenters (KSC)?

Weiteres Unterscheidungskriterium ist die organisatorische Ansiedelung. Die häufigsten am Markt vorhandenen Möglichkeiten sind die organisatorische Ansiedelung der Direkt-Filiale als weiteren Filialtyp im Privatkundenvertrieb oder die Ansiedelung als Team im KSC. Die Ansiedelung hängt vor allem vom Reifegrad der Sparkasse im KSC ab. Für ein Haus, welches bereits seit Jahren über ein leistungsstarkes KSC (MAK >6, Team Inbound/Outbound) verfügt, ist die Ansiedelung im KSC zu bevorzugen. Einzig die Diskussion bei einem aktiv gewählten Vertriebsansatz (wegen der Kundenzuordnung) muss man hier aushalten. Rein organisatorisch gibt es aber aufgrund der Ähnlichkeit in den Vorgehens- und Arbeitsweisen mehr Vorteile als Nachteile.

Sparkassen, die am Anfang stehen und gerade dabei sind oder vor kurzem damit angefangen haben, ein KSC aufzubauen, können die Direkt-Filiale direkt im Vertrieb ansiedeln. Wichtig ist hier aber, dass die Direkt-Filiale hierarchisch mindestens unter der 2. Führungsebene anzusiedeln ist, damit Diskussionen bzgl. Kundenverantwortlichkeiten möglichst schnell und einfach geklärt werden können und ebenso die übergreifende Übernahme von Vertriebsverantwortung gewährleistet ist. Somit ist die Direkt-Filiale, wenn sie als vollwertige Vertriebseinheit implementiert wird, eine sinnvolle und vor allem für den Kunden mehrwertige Vertriebsform, die jede Sparkasse umsetzen sollte.

Neben den positiven Aspekten aus Kundensicht, die aus der Erweiterung des Leistungsangebot resultieren, entstehen vor allem für die gesamte Sparkasse im Zuge der Digitalisierung wichtige Impulse, da Prozesse und Abläufe für die Direkt-Filiale komplett hinterfragt werden müssen. Dies beginnt bei der Möglichkeit zur Kontoeröffnung, denn eine physische Anwesenheit und zig Unterschriften funktionieren in der Direkt-Filiale schlicht nicht mehr, bis hin zur Beratung von komplexeren Produkten wie z. B. Wertpapiere oder Baufinanzierung. Intelligent genutzt bietet die Direkt-Filiale die Möglichkeit als gesamte Sparkasse besser zu werden. Sie wird somit zum digitalen Labor für den notwendigen Wandel der gesamten Organisation.

 

Über den Autor: Prof. Dr. Jürgen Weimann

Dr. Jürgen Weimann ist einer der führenden Managementberater für Zukunftsfähigkeit durch wirkungsvolle Führung und kompromisslose Kundenzentrierung mit Schwerpunkt im Sparkassen Consulting & Bank Beratung.

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