Die Zukunft der Unternehmensberatung – Tagelöhner oder Experten?

„Eine Branche im Umbruch“, titelte der Harvard Business Manager im Januar 2017. Am 23.03.2017 postulierte das Handelsblatt, dass die gesamte Branche der Unternehmensberater vor einem großen Umbruch steht. Doch ist es wirklich so, dass Unternehmen zukünftig keine Berater mehr brauchen? Oder brauchen sie andere Berater als bisher?

Der Beratungsmarkt in Deutschland ist riesig. Im letzten Jahr haben Unternehmen in Deutschland insgesamt 29 Mrd. EUR für Beratungsleistungen ausgegeben. Seit Jahren kennt die Branche nur eines: jährliches Wachstum. Doch aktuell mehren sich die Stimmen, dass dieses Wachstum nicht mehr so weitergehen wird, sondern die Branche vor großen Veränderungen steht. Schematisch gibt es nur drei Hauptgründe für den Einsatz eines Beraters:

  • Fachwissen: Der Berater verfügt über eine Fachexpertise, die im Unternehmen nicht vorhanden oder aktuell nicht verfügbar ist.
  • Absicherungsfunktion: Entscheidungen sollen aus persönlichen oder politischen Gründen nicht von den Unternehmenslenkern selbst getroffen werden, sondern ein neutraler Dritter soll diese „absichern“.
  • Kapazitätsausgleich: Intern nicht verfügbare oder nicht vorhandene Kapazitäten werden durch externe Kapazitäten kompensiert.

Waren früher „Alleskönner“ gefragt, die vor allem durch ihre Moderationsfähigkeiten überzeugten, sind es heute meist Fachspezialisten. Ein Grund dafür ist, dass in fast allen Unternehmen ehemalige Berater arbeiten, die große Erfahrung darin haben, Projekte zu initiieren und zu managen. Der Bedarf an Beratern, die ihre Stärke rein im Projektmanagement oder der Moderation haben, sinkt stetig, denn dieses Wissen ist im Übermaß in den Unternehmen vorhanden.

Die Nachfrage nach Fachspezialisten ist hingegen unverändert sehr hoch. Hier lassen sich reine „Zeitarbeiter“ und wirkliche „Berater“ unterscheiden. Zeitarbeiter sind diejenigen, die z. B. im IT-Umfeld tätig sind und dabei rein operative Aufgaben wahrnehmen. Im Verständnis des Autors kennzeichnen einen Berater vor allem folgende Attribute:

  • keine Einbindung in die Organisation (z. B. kein Kunden-E-Mail-Account, kein eigenes Büro)
  • kein direkter Eingriff in Live-Systeme oder in das operative Geschäft (wie z. B. beim Interims-Management)

Das Geschäftsmodell einer Unternehmensberatung besteht – vereinfacht ausgedrückt – darin, Kunden Lösungen für deren aktuelle Herausforderungen zu verkaufen. Dabei funktioniert Beratung sehr persönlich, da immer die Kombination von Lösung/Produkt und Mensch in Form des Beraters verkauft wird. Bei dem am Markt am häufigsten vertretenen Geschäftsmodell von Beratern entsteht die Profitabilität durch eine möglichst hohe Anzahl an verkauften Tagen. Das Projektvolumen errechnet sich durch die Anzahl der geleisteten Tage (manchmal auch Stunden), multipliziert mit dem vereinbarten Tagessatz.

INTERESSENSKONFLIKTE ZWISCHEN BERATER UND KUNDE

Doch was löst dieser Ansatz aus? Am profitabelsten ist ein Projekt aus Sicht des Beraters, wenn die größtmögliche Anzahl an Tagen zum höchstmöglichen Tagessatz zur Abrechnung kommt; aus Kundensicht vermeintlich die geringstmögliche Anzahl an Tagen zum niedrigsten Tagessatz. Doch bringt das wirklich einen betriebswirtschaftlichen Mehrwert für beide Seiten? Blicken wir hierzu näher auf die Beratungstage.

Beratungstage sind nichts anderes als Zeiteinheiten, die für die Erreichung eines Ziels aufgewendet werden. Ist es aus Sicht des Unternehmens nicht von höchster Bedeutung, die anvisierten Ziele auf dem schnellsten Weg zu erreichen? Somit ergibt sich aus Sicht des Kunden ein anderer Blickwinkel zur Bewertung des Erfolgs eines Beratungsprojekts, als aus Sicht des Unternehmensberaters. Für den Kunden zählt der kürzeste Weg zum Ziel. Aus Sicht des Beraters ist hingegen der Weg der profitabelste, der zwischen dem kürzesten und dem längsten, also unterhalb der Schwelle liegt, an der der Kunde die mangelnde Projektgeschwindigkeit monieren würde. Somit besteht ein Interessenskonflikt zwischen Vereinfachung (um den kürzesten Weg zum Ziel zu nehmen) auf Kundenseite und Komplexitätserhöhung aufseiten der Unternehmensberatung.

An einem Beispiel veranschaulicht: Zur Evaluation der Ausgangssituation werden zehn Interviews mit Vertretern des Unternehmens geplant, doch bereits nach dem fünften Interview besteht ein sehr konkretes Bild über die Ausgangssituation. Aus Kundensicht wäre es betriebswirtschaftlich sinnvoll, die weiteren fünf geplanten Interviews abzusagen, damit sich die Mitarbeiter ihren Haupttätigkeiten widmen können. Aus Sicht des Unternehmensberaters würde dieses Vorgehen einen Umsatzverlust bedeuten, da innerhalb von 24 Stunden die geplanten Folgetage nicht mehr mit Alternativtätigkeiten gefüllt werden können. Somit folgt häufig eine für den Kunden nicht wirtschaftliche Entscheidung und die geplanten Interviews werden geführt. Dadurch wird nicht nur das mögliche Wertschöpfungspotenzial gebunden, welches der Mitarbeiter alternativ zum Interview erwirtschaftet hätte, sondern es entstehen externe Kosten.

BERATER DER ZUKUNFT FÜHREN SCHNELL UND AUF DIREKTEM WEG ZUM PROJEKTZIEL

Aus Sicht des Autors haben Berater zukünftig nur dann eine Existenzberechtigung, wenn sie über eine Expertise verfügen, die die Kunden schneller zum Ziel führt, als es ein Unternehmer erreicht, der sich ohne einen Berater auf den Weg macht. Somit muss sich neben der Weiterentwicklung des Produktangebots der Beratungen vor allem die Abrechnungsphilosophie ändern. Im aktuell meist angewandten Modell liegt das Interesse der Beraters in einer möglichst hohen Komplexität, da dadurch mehr Aufwand entsteht und somit mehr Tage für die Erreichung der Projektziele, die in Rechnung gestellt werden können, notwendig sind. Dies liegt aber nicht im Kundeninteresse; hier ist der kürzeste Weg zur nachhaltigen Zielerreichung entscheidend. Diesen aber nach Tagessatz-Philosophie zu bepreisen ist betriebswirtschaftlich nicht rentabel. Ein nutzenbasiertes Abrechnungsmodell führt dazu, dass Kunde und Berater „in einem Boot sitzen“, nur dann haben Berater und Kunde das gleiche Ziel, nämlich so schnell wie möglich die Projektziele zu erreichen. Denn eine Unternehmensberatung sollte nicht Stunden oder Tage wie bei der Zeitarbeit verkaufen, sondern einen betriebswirtschaftlichen Mehrwert, der durch die Expertise der Berater gehoben werden kann.

Das heißt vor allem für die Zukunft, weniger „lautes Vorlesen“ mit Hilfe von Powerpoint, sondern „Ärmel hochkrempeln“ und Seite an Seite mit dem Kunden agieren. Der Fokus sollte auf Fortschritt zur Erreichung der Projektziele liegen, anstatt auf der Pflege von Projektplänen, die Fortschritt in Ampelfarben suggerieren.

Über den Autor: Prof. Dr. Jürgen Weimann

Dr. Jürgen Weimann ist einer der führenden Managementberater für Zukunftsfähigkeit durch wirkungsvolle Führung und kompromisslose Kundenzentrierung mit Schwerpunkt im Sparkassen Consulting & Bank Beratung.

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