Lassen sie uns über Digitalisierung sprechen….

Digitalisierung ist in aller Munde: kaum eine Konferenz, eine Vorstandssitzung oder ein Fachbeitrag in der/dem nicht über Digitalisierung gesprochen wird. Das Gute ist, solange man darüber spricht, scheint man aktiv und dynamisch zu sein, auch, wenn man nicht wirklich etwas tut. In einigen Unternehmen ist die sichtbarste Handlung das Abnehmen der Krawatten. Doch ändert sich dadurch wirklich die Unternehmenskultur? Arbeiten deshalb die seit Jahren verfeindeten Abteilungen nun übergreifend zusammen? Entsteht dadurch ein organisationsweites Verständnis, was Digitalisierung überhaupt bedeutet? Würde man die angestrebte Teilnahme an der Olympiade ebenso angehen, also nur darüber sprechen und weitermachen wie bisher? Ein Plädoyer für die analoge Transformation.

Sparkassen, Genossenschaftsbanken und Banken möchten innovativer werden, daher wird an vielen Stellen über die Digitalisierung philosophiert. Diese Diskussionen haben bisher jedoch nur wenige innovative Konzepte am Markt hervorgebracht. Blickt man auf die Prozesswelten, so geht die Digitalisierung der einzelnen Prozesse auch nur schleppend voran. Maßnahmen wie OSPlus neo der S-Finanzgruppe gehen in die richtige Richtung und zeigen erste Wirkungen. Um die Digitalisierung zu meistern, ist es jedoch erforderlich, die Lebenswelt des Kunden zu verstehen. Diese Veränderung hat nur sehr wenig mit Digitalisierung zu tun, viel mehr sind noch einige Grundvoraussetzungen notwendig, um überhaupt erste Schritte in Richtung Digitalisierung gehen zu können. Digitalisierung bedeutet im Verständnis des Autors zweierlei: zum einen die Lerngeschwindigkeit der Mitarbeiter und des Unternehmens erhöhen, also durch „try and error“ Verbesserungen auszuprobieren, statt in langwierigen Projekten darüber zu diskutieren; zum anderen, schnell und unkompliziert in der Kundeninteraktion zu sein. Dafür ist es notwendig, nicht nur die Prozesse zu digitalisieren, sondern die gesamte Organisation neu auszurichten. Dies wird in diesem Artikel mit der analogen Transformation beschrieben und fasst dabei die vorab notwendigen drei Schritte zusammen:

  • Verstehen der Kundenbedürfnisse
  • Veränderung des Selbstverständnisses der Mitarbeiter
  • kundenzentrierte Ausrichtung der Prozesse

Spricht man heute mit Start-ups über ihre Kunden, so bekommt man meist eine Vielzahl an Zahlen und Steuerungsgrößen genannt. Deren Fokus, gerade bei neuen Finanzierungsrunden, ist das Gewinnen einer ausreichend großen und potenzialstarken Kundengruppe. Daher wird sehr viel Zeit dafür verwendet, Kunden noch besser zu verstehen, die eigene Lösung darauf auszurichten, um noch mehr Kunden zu gewinnen. Fokus ist immer der Kunde und die Weiterentwicklung des Produkts. Somit entsteht eine meist sehr feingliedrige Definition von Kundenzielgruppen, die wiederum auf meist nur ein Produkt, z. B. eine App, treffen.

In der Bankenwelt ist es fast genau umgekehrt, bis auf eine nach Alter, Einkommen und Vermögen abgestufte Kundensegmentierung ist die Definition von Kunde sehr einfach.

Nur wenige Informationen sind bekannt, Kennzahlen sind meist auf dem Niveau „Anzahl Privatkunden, Firmenkunden, Geschäftskunden“. Dieses Verständnis trifft dann auf ein sehr vielfältiges Produktuniversum. Doch warum sucht der Kunde überhaupt Kontakt zu einer Bank? Welche Kontaktkanäle bevorzugt er für welche Fragestellungen? Welche Unterschiede, je nach Alter, Bildungsstand, Einkommen und Persönlichkeit, gibt es? Mit welcher Erwartungshaltung tritt der Kunde einer Bank gegenüber? Auf diese und weitere Fragen finden sich in der Praxis meist keine oder nur sehr rudimentäre Antworten. Doch wie soll eine Transformation des Geschäftsmodells erfolgen, wenn nicht bekannt ist, welche Kundenanforderungen vorhanden sind? Mithilfe regelmäßiger Kundenbefragungen und Fokusgruppen können Antworten auf diese Fragen gefunden werden. Gleichzeitig bietet die Analyse der Zahlungsverkehrsdaten ebenso interessante Erkenntnisse, hierzu ist das Einverständnis des Kunden erforderlich. Erkennt der Kunde für sich einen Mehrwert, ist er bereit, dieses Einverständnis zu geben. Dies beweisen die Kundenzahlen einiger FinTechs aus dem Financial-Planning-Bereich.

Die meisten Institute haben Überkapazitäten in der Mitarbeiterschaft. Dies führt zu Einstellungsstopps und einer rein internen Stellenbesetzung. Somit schmort die Organisation „im eigenen Saft“, das Einbringen frischer Ideen oder das Hinterfragen von Arbeitsweisen findet nur selten statt, denn „man hat es ja schon immer so gemacht“. Gleichzeitig hat sich das Berufsbild einer Bank komplett gewandelt. Heute werden weniger die zahlenfixierten, genauen Buchhalter gebraucht, sondern viel mehr extrovertierte, kreative und vor allem empathische Mitarbeiter. Die Entwicklung dieses neuen Selbstverständnisses ist eine der größten Herausforderungen. Allein die frühere Bankensprache, wie z. B. Kreditgewährung,  spricht Bände über das damalige Selbstverständnis. Heute werben zahlreiche Anbieter um die Gunst des Kunden, weswegen Empathie gefragt ist, damit beim Kunden das Gefühl entsteht, willkommen zu sein. Diese Neuausrichtung beginnt bei Anschreiben und Verträgen, die in Kundensprache formuliert sein sollten und deren Verstehen nicht eine juristische Grundausbildung voraussetzt. Egal, über welchen Kontaktpunkt eine Anfrage kommt, die Antwort muss immer „Es ist mir eine Freunde, Ihnen zu helfen“ sein.  Damit sind nicht nur die Worte gemeint, im Gegenteil, viel besser ist es, wenn man nicht darüber sprechen muss, sondern der Kunde es einfach durch die Art und Weise der Behandlung merkt. Vergleichen Sie mal den Besuch eines Nespresso-Geschäfts mit dem einer Bankfiliale, dann spüren Sie sehr schnell den Unterschied.

Wenn über Digitalisierung gesprochen wird, spricht man oft von der Digitalisierung von Prozessen. Voller Euphorie nehmen sich Banken gleich die komplexesten Prozesse vor, um besonders zu zeigen, wie ernst es ihnen mit der Digitalisierung ist. Dabei werden leicht einfache Prozesse, die die Chance auf schnelle Veränderung bieten und gleichzeitig für positive Kundenerlebnisse sorgen könnten, vergessen. Hierzu ein Beispiel:

Betrachten wir den Prozess einer Terminvereinbarung. Wenn der Kunde heute einen Termin beim Kundensupport von Apple, oder in einem Restaurant einen Tisch reservieren möchte, klickt er auf die Webseite des Restaurants oder des Arztes, sucht sich einen Wunschtermin aus und bucht diesen mit wenigen Klicks online. Zusätzlich erhält er eine E-Mail als Terminbestätigung mit einem Anhang zur automatischen Übernahme in seinen Terminkalender. Betrachtet man den Prozess bei einer Bank zur Terminvereinbarung eines Beratungsgesprächs, dann stellt sich die Situation in vielen Instituten wie folgt dar:

Der Kunde ruft – mangels Onlinekalender – an und landet in einem zentralen Callcenter. Dort wird ihm ein Rückruf von seinem persönlichen Betreuer angeboten. Nach dem Warten auf den Rückruf, kann der Kunde zwar einen Termin vereinbaren, erhält dabei aber keinerlei Terminbestätigung, sondern muss den Termin selbstständig in seinen Kalender eintragen. Terminerinnerungen vor dem Termin finden auch nur selten statt. An diesem Beispiel sieht man, dass die Prozesse vieler Sparkassen, Genossenschaftsbanken und Banken auch heute noch viel zu sehr auf den Betreuer oder die Filiale zentriert sind. Mit Digitalisierung hat die Veränderung dieses Zustands recht wenig zu tun. Vielmehr geht es um das Nachholen von längst fälligen Prozessverbesserungen, um überhaupt erst einmal den Status quo anderer Unternehmen zu erreichen. Erst nach dieser analogen Transformation ist der richtige Zeitpunkt gekommen, Maßnahmen zur Digitalisierung einzuleiten. Ein digitaler Prozess, der in einer analogen Organisation durch analog denkende Mitarbeiter ausgeführt wird, führt eher zur Verwirrung, da der Kunde bspw. online seinen Kredit beantragen kann, anschließend aber ein Papierberg ausgedruckt werden muss, um den Kredit auch wirklich zu bekommen. Das dadurch entstehende Kundenerlebnis ist grauenvoll.

Die Themen, die innerhalb des Bereichs der Digitalisierung diskutiert werden, sind meist sehr technologielastig. Es wird der große Wurf gesucht, dabei wird aber häufig vergessen, sich zunächst mit dem Naheliegenden zu beschäftigen und die Organisation digital denkender zu gestalten. Dies ist aber eben nicht mit „Krawatten abnehmen“ getan, sondern hierfür sind Mitarbeiter notwendig, die kundenorientiert, über Abteilungsgrenzen hinaus denken und agieren, um stets die für den Kunden beste und einfachste Lösung zu finden.

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Über den Autor: Prof. Dr. Jürgen Weimann

Dr. Jürgen Weimann ist einer der führenden Managementberater für Zukunftsfähigkeit durch wirkungsvolle Führung und kompromisslose Kundenzentrierung mit Schwerpunkt im Sparkassen Consulting & Bank Beratung.

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